Varroa destructor riecht mit den Beinen
Franz-Xaver Dillier1,2, Peter Fluri1 et Patrick Guerin2
Schweizerisches Zentrum für Bienenforschung1
Forschungsanstalt für Milchwirtschaft, Liebefeld, CH-3003 Bern
Zoologisches Institut der Universität Neuenburg2
Rue Emile-Argand 11, CH-2007 Neuchâtel
Varroa destructor besitzt auf den Vorderbeinen eine Grube mit einem Geruchssinnesorgan. Mit elektrophysiologischen Ableitungen an den Geruchssensillen konnte nachgewiesen werden, dass Varroa Düfte wahrnehmen und darauf reagieren kann.
Sinneswelt der Milben
Abb.1. - Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme der Vorderbeine der Varroa destructor mit dem für das Riechen zuständigen Grubensinnesorgan. Die Milbe ist von vorne unten aufgenommen. Im Zentrum sieht man die Pedipalpen (Mundwerkzeuge) mit den säbelförmigen Klauen und den Geschmackssinneshaaren. Die Vorderbeine tragen lange Tasthaare und an der Spitze die beweglichen Haftlappen. Die "Nase" der Milbe das Grubensinnesorgan, liegt auf der Oberseite der Beine etwas nach aussen versetzt fast an der Spitze, versteckt in der namengebenden Grube (Elektronenmikroskopaufnahmen, M. Vlimant, Universität Neuenburg).
Mit welchen Sinnen kann sich die bienenparasitische Milbe Varroa destructor, die wie ihr neuer Name schon sagt, im Bienenvolk grossen Schaden anrichtet, orientieren? Um sich fortzupflanzen, müssen die weiblichen Milben von den Ammenbienen, auf denen sie bevorzugt Hämolymphe ("Bienenblut") saugen, in verdeckelungsbereite Brutzellen überwechseln. Wie Untersuchungen von Gerard Donzé in Liebefeld gezeigt haben, findet in den verdeckelten Brutzellen ein hoch organisierter Vermehrungszyklus statt.
Im dunklen Bienenstock kann Varroa auf Augen verzichten. Sie kann zwar Licht von Dunkel unterscheiden, da gewisse Zellen im Nervensystem etwas Licht empfindlich sind, aber damit kann sie niemals den Weg zu den richtigen Brutzellen finden. Milben sind wie alle Spinnentiere sehr empfindlich für Vibrationen und haben einen ausgezeichneten Tastsinn. Hören - also Luftschall wahrnehmen - können sie aber, wie übrigens auch die Bienen, nicht. Ob sie im Nahbereich die durch starke Schallwellen erzeugte Beschleunigung der Luftmoleküle (die sogenannte Schallschnelle) wie die Bienen mit Sinneshaaren wahrnehmen können, ist für Varroa nicht bekannt. Dagegen weiss man, dass die Varroa-Milben kleinste Temperaturunterschiede wahrnehmen können. Die Milben leben in einer Welt von chemischen Reizen, Erschütterungen und Temperaturdifferenzen, einer uns sehr fremden Umwelt. Diese Geruchs- und Geschmackswelt bildet einen scharfen Gegensatz zu der uns vertrauten Welt der Farben und Töne.
Die "Milbennase"
Abb. 2. - Grubensinnesorgan mit den tast- und geschmacksempfindlichen Randborsten R1 bis R9 und den Grubensensiblen S1 bis S9.
In unserer Untersuchung ging es darum herauszufinden, wie die Varroa-Milben Gerüche wahrnehmen und ob sie sich von speziellen Düften zu den richtigen Brutzellen leiten lassen.
Die Bienen besitzen wie alle Insekten Fühler mit Tausenden von Sinneshaaren und Sensillen in Porenplatten, um die ganze Vielfalt der Blumendüfte sowie auch die Volkszugehörigkeit ihrer Stockgenossinnen zu erkennen. Wo aber liegt die "Nase" der Varroa-Milbe? Sie besitzt wie alle Spinnentiere acht Beine, aber keine Fühler. Wenn man eine Varroa mit der Lupe oder unter dem Binokular betrachtet, bemerkt man, dass auch sie bloss sechs ihrer acht Beine zum Laufen gebraucht. Das erste Beinpaar hingegen ist ständig in Bewegung, tastet wie ein Insektenfühler die Umgebung ab und wird ständig in der Luft hin und her geschwenkt. Es liegt daher nahe, wie merkwürdig das auch klingen mag, die "Milbennase" auf den Beinen zu suchen.
Elektronenmikroskopie
Abb. 3. - Zwei unterschiedliche Geruchssensillen S4 (oben rechts angeschnitten) und S5 (im Zentrum) mit den typischen Wandporen um Geruchsmoleküle zu den Rezeptorzellen im Inneren durchzulassen.
Aufnahmen, die wir mit dem Rasterelektronenmikroskop an der Universität Neuenburg gemacht haben, zeigen auf der Oberseite der Vorderbeine, kurz vor dem Haftlappen eine kleine Grube mit winzigen Sinneshaaren (Sensillen). Jede dieser Sensillen sieht etwas anders aus und zeigt auch einen unterschiedlichen inneren Aufbau. Wie man von anderen Milben und Insekten weiss, kann man vom Aussehen und vom Aufbau auf die Sinnesmodalität schliessen. Eine Endpore ist typisch für Geschmackssensillen, ein ringförmiger Sockel, wie ihn die Randborsten um die Sinnesgrube, herum zeigen, deutet auf bewegungsempfindliche Haare. Sie vermitteln Tasteindrücke und können Luftbewegungen wahrnehmen. Manche besitzen zusätzlich noch eine Endpore und verbinden so einen Tast- mit einem Geschmackseindruck. Die Sensillen für den Temperatur- und Feuchtigkeitssinn die wahrscheinlich auch in der Sinnesgrube auf den Vorderbeinen liegen, verraten sich nicht durch das Aussehen, sondern gerade das Fehlen äusserer Merkmale und die Form der Nervenendigungen im Inneren geben Hinweise auf diese Sinne. Riechsensillen der Gliederfüssler zeichnen sich durch Wandporen aus. Durch diese Poren können die Duftmoleküle in die Sensille eintreten und in Kontakt mit der dort vorhandenen Rezeptor-Lymphflüssigkeit kommen. Dort lösen sie über für die verschiedenen Duftstoffklassen spezifischen Rezeptoren in der Membran der Sinneszellen eine chemische Kaskaden-Reaktion aus. Sie führt über das Öffnen von Ionenkanälen zum Aussenden von elektrischen Aktionspotentialen (Nervensignalen) durch die Sinneszellen. Die Sensillen S3, S4 und S5 im Grubenorgan auf den Vorderbeinen von Varroa sind Beispiele für solche geruchsempfindliche Wandporensensillen.
Elektrophysiologische Ableitungen
Der Beweis, dass Varroa wirklich Gerüche mit ihren Beinen wahrnehmen kann, erbrachten nicht die mikroskopischen Untersuchungen, sondern erst elektrophysiologische Ableitungen der Aktionspotentiale an den Geruchssensillen der Varroa-Milben. Dazu mussten die Milben unter dem Mikroskop auf ein Plexiglasstück geklebt und ihre Beine vorsichtig mit Wachs fixiert werden. Eine hauchfeine Ableitungselektrode aus Wolframdraht oder eine mit Salzlösung gefüllte, in eine Spitze ausgezogene, Glaskapillare wurde an der Basis einer Sensille eingestochen. Um den Stromkreis zu schliessen, diente eine entsprechende Referenzelektrode in einem Bein. Ein durch einen Aktivkohlefilter, gereinigter, erwärmter und befeuchteter Luftstrom, wurde über das Tier geführt. In diesen Luftstrom konnten Geruchsreize elektronisch gesteuert eingespritzt werden. Varroa zeigte auf Duft von lebenden Bienen, Larven oder Puppenhüllen, sowie von einzelnen chemisch reinen Geruchstoffen eine Erhöhung in der Frequenz der abgeleiteten Aktionspotentiale an den Grubensensillen. Die Ableitungen zeigten oft gemischte Signale mit deutlich unterschiedlichen Amplituden (Signalstärken) und leicht verschiedenen Latenzzeiten vom Reizbeginn. Das deutet darauf hin, dass an der Reaktion mindestens zwei verschiedene Nervenzellen beteiligt waren. Oft waren im Mikroskop bei den Ableitungen trotz fixierten Beinen rhythmische Zuckungen an feinsten Muskelfasern sichtbar.
Abb. 4. Geschmackssensille S8 mit Endpore.
Kontrollableitungen zwischen den Reizungen zeigten keine Reaktionen und auch keine Erhöhung der Rate der Aktionspotentiale. Es scheint bei den winzigen Dimensionen der Sensillen bei Varroa äusserst schwierig zu sein, reine Ableitungen der Reaktion der Sinneszellen zu erhalten, wie auch ähnliche Ergebnisse an einem amerikanischen Labor zeigten. Da Varroa als Verhaltensreaktion die Vorderbeine ständig nach von ihr wahrgenommenen Gerüchen ausrichtet, können diese Ableitungen als eine Mischung der Antwort der Sinneszellen und der unmittelbar darauffolgenden Rückmeldung der Motoneuronen (Nervenzellen die Muskeln zur Kontraktion anregen) mit einer grösseren Amplitude an die Beinmuskeln interpretiert werden. Da auch diese Antwort-Reaktion von der Duftreizung ausgelöst wird, können Geruchstoffe auch durch solche gemischten Ableitungen getestet werden. Sie zeigen nicht nur an, ob Gerüche von der Varroa wahrgenommen werden können, sondern auch, dass sie eine Reaktion beim Tier auslösen. Welcher Art die Reaktion der Milben auf die erkannten Gerüche ist, müssen hingegen Verhaltensversuche aufklären.
Verwirrungstatik ?
Abb. 5. - Elektrophysiologische Arbeitsstation mit Mikroskop und zwei Mikromanipulatoren zum Platzieren der Mikroelektroden, die zum Ableiten der Nervensignale dienten.
Varroa destructor besitzt also eine "Nase" auf den Vorderbeinen und kann Gerüche aus dem Bienenvolk wahrnehmen und darauf reagieren. Flüchtige Stoffe scheinen eine Rolle beim Abstieg von den Ammenbienen und dem Auffinden der richtigen Brutzellen für den Vermehrungszyklus zu spielen. Darauf deuten erste Ergebnisse eines in Liebefeld entwickelten Abstiegslabortests hin. Bei der Orientierung der kleinen Milben die im Bienenstock die richtigen Brutzellen aufsuchen müssen, spielen aber viele Einflüsse und verschiedene Sinnesmodalitäten eine Rolle, wie die Forschungsresultate verschiedener Gruppen zeigten. Sobald man aber das komplexe, fein abgestimmte Orientierungsverhalten genügend versteht, werden sich auch Wege aufzeigen, wie es gestört werden könnte. Vielleicht gelingt es uns einmal, die Milben durch Eingriffe in ihr chemisches Kommunikations- und Orientierungssystem so zu verwirren, dass ihre schadenstiftende Vermehrung im Bienenvolk dadurch auf schonende- und umweltverträgliche Weise nachhaltig vermindert werden kann. Mit dem Aufklären des Geruchsinns der Milben sind wir diesem Ziel einen Schritt auf dem schwierigen Weg nähergekommen.
Figure 6. - Mesure des impulsions nerveuses à partir des sensilles olfactives situées sur les pattes avant de Varroa destructor. L'acarien est fixé sur un bloc en plexiglas au moyen d'un ruban collant sur les deux faces et de la cire. Les odeurs sont diffusées au travers du tube dans lequel passe le flux d'air parfumé (derrière à droite). Nous avons mesuré les potentiels d'action émis par les cellules sensorielles et les impulsions nerveuses consécutives envoyées en retour aux cellules musculaires. L'enregistrement a été effectué au moyen de microélectrodes en verre ou en tungstène. Les signaux des électrodes ont été amplifiés, visualisés sur l'écran et rendus audibles au moyen d'un haut-parleur.
Mais dès que l'on aura suffisamment d'éléments pour saisir le comportement complexe d'orientation de Varroa, des voies s'ouvriront qui permettront de le perturber. Il se peut qu'un jour nous parvenions à dérouter les varroas en interférant dans leur système chimique de communication et d'orientation de telle sorte qu'il sera possible de diminuer sa pernicieuse multiplication dans les colonies d'abeilles d'une manière durable et respectueuse de l'environnement. En étudiant et en décryptant le système olfactif de Varroa, nous avons fait un pas de plus en direction de cet objectif.
Abb. 7. - Ableitungen von Aktionspotentialen an den Geruchssensillen im Grubenorgan auf den Vorderbeinen von Varroa destructor. Die erste Spur zeigt die Ableitung nach Reizung mit Bienengeruch, die zweite Spur mit Geruch von Puppenhüllen und der Balken in der dritten Spur gibt die Dauer der Reizdarbietung an. Es handelt sich um eine gemischte Antwort von verschiedenen Zellen. Die hohen Ausschläge sind wahrscheinlich Signale von den Motoneuronen, Nervenzellen, die den Muskeln in den Beinen die Anweisung geben, sich auf die Geruchsquelle auszurichten. Die Signale mit der kleineren Amplitude, die etwas früher einsetzen und länger anhalten, stammen hingegen wahrscheinlich direkt von den geruchsempfindlichen Sinneszellen in den Grubensensillen.